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Ermittlungen zum Terror-Trio

Wieviel wusste Carsten S.?

  • 03. Februar 2012 75 7 Min.

Presse-Echo am Tag nach der Verhaftung

Der Mitarbeiter der Düsseldorfer Aids-Hilfe, der am Mittwoch im Zusammenhang mit der Zwickauer Zelle festgenommen wurde, gilt den Ermittlern nun als wichtiger Zeuge. Er war involviert, wusste aber offenbar nichts von den Morden.

Von Norbert Blech

In Düsseldorf hat nicht nur das Wetter die Menschen kalt erwischt. Vor zwei Tagen stürmte die GSG 9 eine Wohnung im Stadtteil Oberbilk, nahm Carsten S. fest. Der 31-Jährige soll 1999 und 2000 nicht nur das Terror-Trio mit Geld und bei der Suche nach einem Versteck geholfen, sondern 2001 oder 2002 eine Schusswaffe samt Munition besorgt haben. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm daher Beihilfe zu sechs vollendeten Morden und einem versuchten Mord der terroristischen "Vereinigung Nationalsozialistischer Untergrund" (NSU) vor (queer.de berichtete), S. sitzt inzwischen in U-Haft.

S. war seit 2005 ein beliebter und viel gelobter Mitarbeiter der Aids-Hilfe, nahm im Rahmen der "Herzenslust"-Kampagne an der HIV-Prävention teil und beriet Jugendliche im schwul-lesbischen Jugendzentrum Puls. Der offen schwule Sozialpädagoge hatte seinem Arbeitgeber von seiner Vergangenheit berichtet, nicht jedoch von der NSU-Verbindung. Die Aids-Hilfe sagte am Mittwoch bei einer eiligst einberufenen Pressekonferenz, man habe ihm eine zweite Chance geben wollen.

So ergoss sich ein gewaltiger Mediensturm auch über die Szene. Der "Express" sprach vom "Schwulen-Milieu", in dem Carsten S. gearbeitet habe (nahm das Unwort allerdings nach Intervention eines schwulen Kollegen später wieder zurück). Die "Bild" brachte ein Foto von Carsten S. im Fummel (von einem Schwulen-Magazin zur Verfügung gestellt) und stellte mit der Überschrift "mysteriöses Leben zwischen NPD und Schwulen-Szene" die Szene als ein Extrem dar.

Vorwürfe und Zweifel


Carsten S. 2010 mit einem Regenbogenpulli. Kollegen und Freunde beschrieben ihn als sympathisch, hilfsbereit und engagiert. (Bild: Dietrich Dettmann / Fresh)

Womit konkret vor allem das schwul-lesbische Jugendzentrum Puls, für das Carsten gearbeitet hat, ein Imageproblem bekommen kann. Sensible Eltern könnten sich fragen, ob ihre Kinder dort gut aufgehoben sind - dabei leistet der zur Aids-Hilfe gehörende Verein hervorragende und seriöse Arbeit, gerade im Vergleich zu eher losen, sich über das Internet organisierenden Vereinen ohne festen Sitz und angemessene Begleitung.

Der WDR schaffte es am Donnerstag in der "Aktuellen Stunde" sogar, die völlig alberne und haltlose These aufzustellen, Carsten S. könnte versucht haben, die Jugendlichen für rechtes Gedankengut zu indoktrinieren (neben der ebenfalls völlig haltlosen Spekulation, es könnte eine Verbindung von S. zu einem Anschlag auf die Düsseldorfer S-Bahn-Station Wehrhan im Jahr 2000 geben). Dabei gibt es keinerlei Hinweise auf rechte Kontakte und Aktivitäten nach dem Umzug von S. von Jena nach Hürth und später Düsseldorf im Jahr 2003. Politisch immerhin stellten sich die Mitglieder aller Parteien auf Anfragen der "Rheinischen Post" auf die Seite der Aids-Hilfe. Man habe vollstes Vertrauen in ihre zukünftige Arbeit und könne auch das ursprüngliche Vertrauen in den Mitarbeiter nachvollziehen.

In der Szene sind die Einschätzungen kritischer. Viele, die Carsten S. eher flüchtig kannten, hätten sich den Schock gerne erspart. Sie fragen auch: War es die richtige Entscheidung, ihn ausgerechnet mit der sensiblen Mitarbeit beim Puls zu betreuen?

Leute, die S. mitsamt Teilen seiner Vergangenheit besser kannten, hätten ihm hingegen den Job anvertraut - und fragen sich nun, wie gut ihr Urteilsvermögen ist. Freunde von Carsten sind verwirrt: An einen Austieg von S. aus der Szene und eine Distanzierung von früheren politischen Haltungen glaubt jeder, auch heute noch. Aber hat er ihnen zuviel vorenthalten? Will man Kontakt zu jemand gehabt haben und weiterhin haben, der dem Mörder-Trio eine Waffe besorgte? Viel hängt davon ab, wieviel Carsten S. wirklich wusste. Und da deutet sich Entlastung an.

Wissen über Morde "unwahrscheinlich"


Der Bundesgerichtshof in Karlsruhe, vor dem sich Carsten S. verantworten muss (Bild: Wiki Commons / Dionysos / CC-BY-SA-3.0)

Hans Leyendecker ist der investigative Vorzeige-Journalist Deutschlands, für die "SZ" war er an dem Fall Carsten S. dran, bevor er bekannt wurde. Bereits kurz nach der Verhaftung äußerte er sich im WDR eher entspannt bis amüsiert über die Festnahme, schließlich sei der 31-Jährige doch ein glaubhafter Aussteiger.

Leyendecker hat Kontakt zu den Ermittlern und konnte am Freitag Neues zu Carsten S. vermelden: "Dass er von den Morden wusste, gilt als unwahrscheinlich." Er sei tatsächlich im Jahr 2000, also vor der Mordserie, aus der rechten Szene ausgestiegen, habe seine Posten aufgegeben. Carsten war zuvor ein führender Kopf des "Thüringer Heimatschutzes", im Vorsitz des NPD-Kreisverbands Jena und stellvertretender Landesvorsitzer der NPD-Jugendorganisation "Junge Nationaldemokraten". Er soll aber nach dem Austieg noch vereinzelten Kontakt zu einigen ehemaligen Kameraden gehabt haben. "Es ist nicht auszuschließen, dass er mit dem Kauf der Waffe einem Bekannten einen Gefallen tun wollte", so Leyendecker.

Das passt zum Bild, das sich inzwischen vom jungen Carsten S. herausbildet: Ein eigentlich eher unpolitischer, naiver Teenager, der durch Freunde in den Rechtsradikalismus gerät, sich von Kumpeln blenden lässt, auch ausgenutzt wird. Hilfreich sein will, wie später auch im zweiten Leben. So hilfreich, dass er einmal in die Wohnung der untergetauchten Zschäpe einbricht, um ihre Sachen zu holen. Er ist jemand, der in der Unterstützung der rechten Szene und auch des untergetauchten Trios weiter geht, als es die meisten tun würden, um sich dann aber komplett loszusagen.

Sollte es sich bewahrheiten, dass S. beim Kauf der Waffe, falls er diese überhaupt besorgt hat, nichts von den Morden wusste, wäre der Vorwurf der Beihilfe zum Mord juristisch schwer durchzusetzen, zumal S. die Waffe nicht selbst übergeben haben soll, sondern der Bundesanwaltschaft zufolge an Ralf W. weiterreichte, der diese über einen Kurier zu den "NSU"-Mitgliedern nach Zwickau transportieren ließ.

Unklar ist weiterhin, ob die Waffe benutzt wurde. Die Ermittler wissen nicht, welche Waffe S. besorgt haben soll. Wenn der Kauf erst 2001/2002 stattfand, wie angenommen wird, kann es sich bei ihr weder um die Ceska noch um die Bruno handeln, die bei den Morden an Bürgern zum Einsatz kamen. Noch ungeklärt sind die Herkunft einer Waffe, mit der 2007 eine Polizistin in Heilbronn erschossen wurde, und die Herkunft anderer Waffen, mit der auf ihren Kollegen und bei einem Überfall 2006 auf einen Bankangestellten gefeuert wurde. Auch ist unklar, wer die Maschinenpistole besorgt hat, mit der ein Mitglied des Terror-Trios im letzten Jahr auf anrückende Polizisten geschossen hat. Die Zwickauer Zelle hatte weitere Waffen im Arsenal, die nicht benutzt wurden.

Der Vorwurf der Beihilfe zum Mord ist, auch in Abschwächung in Form eines schweren Verstoßes gegen das Waffengesetz, vermutlich der einzige, der zu der öffentlichkeitswirksamen Verhaftung hätte führen können; bekannte Vorwürfe aus 1999/2000 dürften verjährt sein. Er ist zumindest der einzige Gesetzesverstoß, den die Bundesanwaltschaft Carsten S. derzeit vorwirft. Das führte zu einem lauten Polizei- und Medieneinsatz, der ihm sein zweites, mühsam wie erfolgeich aufgebautes Leben vermutlich zerstört hat. War das, zu diesem Zeitpunkt, notwendig und angemessen?

Wichtiger Zeuge

Der eigene Umgang mit dem Ausstieg hat Carsten S. jedenfalls nicht geholfen. "Der Mann betrachtet sein erstes Leben wie ein Fremder", sagt ein Fahnder laut "SZ". Das mag seine Art gewesen sein, die Vergangenheit zu bewältigen. Doch er war zu verschlossen, als die Antifa früher schon Details wissen wollte, auch in der letzten Woche, als sich Journalisten und Behörden für ihn zu interessieren begannen. Sein Anwalt schrieb in der letzten Woche über seinen Mandanten, er werde "entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen seinen Verpflichtungen nachkommen", sollten Behörden ihn in Ermittlungen einbeziehen.

Carsten S. muss gehofft haben, durch Schweigen und Aussitzen sein zweites Leben nicht zu beschädigen, sich auch nicht zu belasten. In der Haft soll er nun vieles ausgesagt haben, er könnte ein wichtiger Zeuge werden, wenn es darum geht, eine Nähe zwischen der NPD und dem Terror-Trio zu beweisen. Ermittler halten die Aussagen für einen Durchbruch, mit weiteren Verhaftungen wird gerechnet.

Unklar ist noch, ob Behörden S. beim Ausstieg geholfen haben - und was sie von ihm erfuhren. Für eine Hilfe spricht, dass S. im Juli 2000 zunächst in einem monatlichen Bulletin des Thüringer Verfassungsschutzes in einem Bericht zur Wahl zum Landesvorstand der "Jungen Nationaldemokraten" namentlich genannt wird, in einer Notiz über die Wahl im späteren Jahresbericht aber komplett unerwähnt bleibt. Dann wäre auch darüber zu diskutieren, ob die Behörden ihren Aussteiger eher unglücklich begleitet haben.

Bei der Aids-Hilfe Düsseldorf will man derzeit zu vielen Fragen, darunter zum weiteren Umgang mit Carsten S., verständlicherweise nichts sagen. Das Puls hat weiterhin seine Türen zu den normalen Öffnungszeiten geöffnet. Über S. wurde bereits bei Gruppenabenden umfangreich gesprochen, die Jugendlichen kritisierten insbesonders reißerische Medienberichte, auch das Bilder von ihnen im Zusammenhang mit der Berichterstattung genutzt wurden, wie zeitweise auch auf queer.de geschehen. Puls-Leiterin Jana Hansjürgen sagt am Telefon entspannt, sie stehe den Jugendlichen weiterhin für alle Fragen und Sorgen zur Verfügung.

#1 FoXXXynessEhemaliges Profil
#2 MarioAnonym
  • 03.02.2012, 13:58h
  • Die Boulevarpresse hat mal wieder ihr homphobes Gesicht gezeigt.
    ( Schwulenmilleu und Klischeefoto, bei dem es btw nicht darum geht von wem das Foto zur Verfügung gestellt wurde lieber Norbert Blech, sondern darum was die Bild daraus macht und das es zeigt was die Bild dem Leser wirklich über Schwule vermitteln will in dem sie es als Aufmacher wählt und es mit ihrer pasuchalen und reisserischen Art auch immer wieder schafft)

    Carsten S. wird wohl ernsthaft ausgestiegen und mit seiner rechten Vergangenheit für sich abgeschlosen haben...man fragt sich aber wann?
    Wirklich schon im Jahr 2000, wie er es behauptet?
    Nach Hinweisen der Düsseldorfer Antifa verraten die glaubhaftesten Aussteiger Interna über die rechte Szene, was Carsten S. aber nicht tat.
  • Direktlink »
#3 gelesenAnonym

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