https://queer.de/?21665
- 29. Mai 2014 9 Min.
Im Moment gebe es "sicherlich gesetzgeberisch noch einiges zu tun", räumt Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) im Interview mit queer.de ein – und macht für den Stillstand bei der Gleichstellung vin Lesben und Schwulen allein die Union verantwortlich (Bild: spdsaar / flickr / by-nd 2.0)
Der Bundesjustizminister spricht im Interview mit queer.de über Unrecht und die Schuld des Staates, die gebrochenen Wahlversprechen der SPD, die Blockade der Union und Coming-out in der Politik.
Von Stefan Mey
Nach der Wahl ist bei Politikern immer vor der Wahl. Heiko Maas (SPD) ist seit Dezember 2013 Bundesjustizminister und in der Funktion auch Chef des Kuratoriums der Bundesstiftung Magnus Hirschfeld Stiftung. Die Sozialdemokraten hatten vor der Bundestags-Wahl mit großen Worten eine Öffnung der Ehe und das volle Adoptionsrecht für homosexuelle Paare in Aussicht gestellt – im Koalitionsvertrag zwischen SPD, CDU und CSU war davon dann aber keine Rede mehr.
Auf den Weg gebracht wurde von Schwarz-Rot bislang nur die vom Bundesverfassungsgericht geforderte Sukzessivadoption für Eingetragene Lebenspartner sowie weitere Gleichstellungen im Steuerrecht (etwa bei der Kaffeesteuerverordnung), die allerdings ebenfalls von Karlsruhe angemahnt worden waren. Immerhin soll, wie im Koalitionsvertrag vorgesehen, das Kapital der Hirschfeld-Stiftung um 1,75 Millionen aufgestockt werden.
Mitte Mai hatten wir Gelegenheit, Heiko Maas in seinem Berliner Amtszimmer zu fragen, was in den Verhandlungen mit der Union los war, was in dieser Legislaturperiode homopolitisch noch zu erwarten ist, wann die Nachkriegsopfer des §175 endlich mit einer Entschädigung rechnen können und was er als Hetero über im Schrank lebende Politiker-Kollegen denkt.
Im Interview relativiert der Bundesjustizminister die SPD-Forderung nach Öffnung der Ehe: Wichtig seien die gleichen Rechtsfolgen von Ehe und Eingetragener Lebenspartnerschaft (Bild: spdsaar / flickr / by-nd 2.0)
Für Schwule und Lesben war der Koalitionsvertrag eine Enttäuschung. Die SPD hatte vor der Bundestagswahl eine Öffnung der Ehe und die Möglichkeit der Volladoption versprochen. Im Koalitionsvertrag war dann davon keine Rede mehr. Sie scheinen die Versprechungen über Bord geworfen zu haben. Was war da los?
Über Bord geworfen haben wir gar nichts. Bei der Gleichstellung von Lebenspartnerschaften und bei der Volladoption ist nur einfach keine Einigung mit der Union möglich gewesen. Wir werden uns aber weiter dafür stark machen.
Hätte die SPD in den Verhandlungen mit der CDU nicht klar sagen können: eine Koalitions-Ehe mit uns gibt es nur, wenn es auch eine komplette Ehe für Schwule und Lesben gibt?
In dem Punkt hat sich die Union nicht bewegt. Mit einem Wahlergebnis von gerade mal knapp 26% ist es eben auch nicht leicht, alles durchzusetzen, was wir gerne gehabt hätten.
Rechnerisch waren Sie in den Koalitionsverhandlungen allerdings der stärkere Part. Sie hätten alternativ zur großen Koalition auch eine linke Koalition mit den Grünen und der Linkspartei eingehen können.
Ganz so einfach war es nicht. Schließlich hatten wir eine Koalition mit der Linkspartei vor der Wahl ausdrücklich ausgeschlossen. Und die Union hat nicht nur mit uns, sondern auch mit den Grünen Gespräche geführt.
War es ein Fehler, die Linkspartei von vorn herein auszuschließen?
Das lag im wesentlich daran, dass die Linkspartei mit Themen in die Wahl gegangen ist, die für die SPD nicht akzeptabel gewesen sind. Außen- und sicherheitspolitisch ist die Linkspartei beispielsweise nicht bereit gewesen, auch nur irgendwie Verantwortung zu übernehmen.
Nach den nicht erfüllten Wahlversprechen stellt sich die Frage: Wieso sollten Schwule und Lesben überhaupt noch die SPD wählen?
Damit die SPD für ihre Positionen – gemeinsam mit einem Koalitionspartner – eine Mehrheit im Bundestag bekommt. Unsere Haltung ist doch völlig klar: Wir sind für die komplette Gleichstellung von Lebenspartnerschaften. Damit sind wir auch zur Wahl angetreten. Nur: Dafür haben wir eben leider nicht die Mehrheit der Wählerstimmen bekommen. Nicht die SPD, sondern die CDU hat die Wahl gewonnen. Und innerhalb der CDU jedenfalls scheint es eine sehr deutliche Mehrheit dafür zu geben, den Konservatismus in Fragen der Ehe ganz besonders deutlich werden zu lassen.
Wie ist es eigentlich, wenn Sie in der Großen Koalition mit der CDU und CSU über schwul-lesbische Themen reden: ist das immer ein ideologischer Kampf, oder lässt sich da auch Konsens herstellen?
Im Kabinett war es so, dass wir bei der Sukzessivadoption schnell und sachlich einen Konsens hergestellt haben. Darüber hinaus gehen die Vorstellungen auseinander. Dass es bei der Union Wert-Vorstellungen gibt, die es den Kolleginnen und Kollegen anscheinend nicht möglich machen, weitere Gleichstellung zu verwirklichen, kann ich leider nicht ändern.
In den letzten Jahren ist die Bundesregierung immer wieder vom Bundesverfassungsgericht angetrieben und angemahnt worden. Ist das nicht ein Armutszeugnis für den Staat?
Die Politik sollte sich zumindest selbstkritisch fragen, was sie dazu beigetragen hat, dass so viele grundsätzliche politische Fragen in Karlsruhe geklärt werden müssen. Wenn auf dem Gesetzgebungsweg wenig geschieht, weil sich die Parteien inhaltlich nicht einigen können, dann gibt es irgendwann eine überholende Gerichtsentscheidung vom Bundesverfassungsgericht. Das ist überhaupt kein Idealzustand, und es sollte kein Zustand sein, der noch lange anhält.
Die entsprechenden Urteile des Bundesverfassungsgerichts beziehen sich oft auf den Gleichheitsgrundsatz im Grundgesetz. Allerdings wird dort "sexuelle Orientierung" nicht explizit erwähnt. Sollte die sexuelle Orientierung Ihrer Meinung nach in Artikel 3 des Grundgesetzes aufgenommen werden?
Wenn wir das tun, müssten wir auch noch andere mögliche Diskriminierungsgründe mit aufnehmen. Vom Bundesverfassungsgericht ist klar und deutlich definiert worden, dass die sexuelle Orientierung durch Artikel 3 des Grundgesetzes geschützt ist. Das bedarf keiner weiteren Klarstellung.
Eine Klarstellung der Bundesregierung wäre allerdings in punkto der gemeinsamen Adoption durch homosexuelle Paare nötig, da der Koalitionsvertrag das Thema komplett ausspart. Können wir da irgendetwas von der Großen Koalition erwarten?
Das Thema ist im Koalitionsvertrag nicht vereinbart. Die Sukzessivadoption haben wir, wie vom Bundesverfassungsgericht gefordert, gemeinsam mit der Union auf den Weg gebracht. Die SPD war auch der Auffassung, dass wir die gesetzlichen Voraussetzungen für die Volladoption schaffen sollten, doch das ist nicht verhandelbar gewesen. Da ist die Position der Union leider vollkommen klar. Sie will das nicht, und sie macht das nicht mit.
Ein anderer Ansatz, um die Ungleichbehandlung der Lebenspartnerschaft zu beenden, wäre die grundsätzliche Öffnung der Ehe. Beispielsweise könnte man im Bürgerlichen Gesetzbuch festschreiben, dass die Ehe eine Gemeinschaft zwischen zwei Erwachsenen unterschiedlichen oder gleichen Geschlechts ist. Ihr SPD-Kollege Thomas Oppermann hatte das auf einer Veranstaltung vor der Bundestagswahl in Aussicht gestellt. Was halten Sie persönlich von dieser Option?
Ob man die Lebenspartnerschaft so regelt, dass sie der Ehe gleich gestellt ist oder ob man die Ehe insgesamt öffnet, halte ich für sekundär. Das ist für mich nicht das entscheidende. Wichtig ist, dass die Lebenspartnerschaft die gleichen Rechtsfolgen wie eine Ehe hat.
Würden Sie aber sagen, dass die momentane Situation gegen den Gleichheitsgrundsatz verstößt?
Im Moment gibt es sicherlich gesetzgeberisch noch einiges zu tun, sowohl im Steuerrecht als auch an anderen Stellen.
Will schwul-lesbischen Politikern keine Ratschläge geben: Heiko Maas nach dem Interview an seinem Schreibtisch im Justizministerium (Bild: Stefan Mey)
Eine konkrete Aktion des Gesetzgebers wäre auch bei den Opfern des Paragrafen 175 notwendig. Bis 1969 wurde der von den Nazis verschärfte Paragraph in der frühen Bundesrepublik angewandt und tausende Männer wegen homosexueller Handlungen verurteilt, bis 1994 galt der Paragraf in einer Rumpf-Version. Diese Urteile sind heute noch rechtskräftig. Wird es in dieser Legislaturperiode noch dazu kommen, dass die Urteile aufgehoben werden?
Das kann ich noch nicht sagen. Wir prüfen zur Zeit, ob es überhaupt verfassungsrechtlich möglich ist, diese Urteile aufzuheben. Das ist als Rechtsakt nicht so einfach. Wenn wir das Ergebnis vorliegen haben, werden wir das innerhalb der Bundesregierung thematisieren.
Halten Sie die Urteile für Unrecht?
Es ist unbestritten, dass diese Urteile Unrecht sind, das hat der Bundestag und das Justizministerium, auch in der Vergangenheit, mehrfach klargemacht. Wichtig ist, dass der Staat bekennt, dass er Schuld auf sich geladen hat, weil er so vielen Menschen das Leben erschwert hat. Wir versuchen, zusammen mit der Magnus-Hirschfeld-Stiftung die Schicksale aufzuarbeiten und zu dokumentieren. Es ist nicht damit getan, dass man 50.000 Urteile aufhebt, und in der Öffentlichkeit ist kaum bekannt, worum es überhaupt geht.
Würden Sie sagen, dass der §175 von Anfang an gegen das Grundgesetz verstoßen hat, weil er das Recht auf freie Entfaltung der Persönlichkeit derart eingeschränkt hat?
Ja. Der §175 war nach meinem Verständnis von Anfang an verfassungswidrig.
Was halten Sie von einer Entschädigung der Opfer des §175?
Die Frage ist, wie man sie entschädigt. Der Staat muss sich zu seiner Schuld bekennen. Ob das mit materiellen Entschädigungsleistungen verbunden ist, muss man im Zusammenhang mit der Frage klären, ob die Urteile formal aufgehoben werden können. Das wäre dann möglicherweise auch eine Rechtsfolge der Aufhebung von Urteilen.
Politik ist nicht nur Realpolitik. Zu Zeiten des §175 undenkbar, gibt es mittlerweile einige wenige, hochrangige offen schwule und lesbische Politiker. Der Anteil derer, die sich outen, ist aber noch sehr bescheiden. Können Sie verstehen, wenn sich Ihre Kollegen nicht outen?
Ich kann nicht wirklich ermessen, unter welchem persönlichen Druck die Kollegen stehen. Deshalb ist es schwierig, gute Ratschläge zu geben, nach dem Motto: stell dich mal nicht so an, zeig dich und bekenn dich.
Inwiefern zählen Sie selbst Schwule und Lesben zu Ihrem Bekanntenkreis?
Mir fällt kein Lebensbereich ein, in dem nicht auch schwule oder lesbische Bekannte mit zu meinem Leben gehören. Das gilt für die Familie, und das gilt für die Politik. Ich bin so erzogen worden, dass ein ganz wesentlicher Wert des Lebens in Respekt gegenüber anderen besteht – völlig unabhängig davon, ob sie groß, klein, dick, dünn, schwarz, weiß sind, wo Sie herkommen, ob sie schwul oder lesbisch sind. Ich halte das auch für einen sozialdemokratischen Wert: freie Entscheidungen über den eigenen Lebensentwurf zu ermöglichen.
Dass sich Politiker nicht outen, wird oft mit dem nachvollziehbaren Recht auf Privatsphäre begründet. Wenn Politiker im Schrank bleiben, führt das aber gleichzeitig auch dazu, dass die Marginalisierung von Schwulen und Lesben in der Öffentlichkeit weiter bestehen bleibt. Sehen Sie darin auch ein Problem?
Ich verstehe den Konflikt: Je mehr Politiker sich öffentlich bekennen, desto alltäglicher wird es in der öffentlichen Wahrnehmung. Ich würde aber immer sagen, dass die Persönlichkeitsrechte des Betroffenen vorgehen, auch bei Politikern. Es geht niemanden etwas an, wie meine Frau aussieht, wenn sie und ich das nicht wollen. Und genauso hat jeder das Recht, für sich zu entscheiden, ob er darüber reden möchte, dass er schwul oder lesbisch ist. Es kann auch Gründe geben, die gar nicht so sehr mit dem Politiker selbst zu tun haben. Was ist denn, wenn der Partner nicht will, dass das öffentlich wird, soll jemand seine Partnerschaft dadurch riskieren? Das fände ich nicht.
Ist es in der Welt der Politik leichter oder härter, sich zu outen?
Ich kann die Situation am besten für meine eigene Partei, die SPD, beurteilen. Da bin ich der festen Überzeugung, dass es überhaupt kein Problem ist. Es ist kein Vorteil und kein Nachteil. Ich habe mir ja auch nie darüber Gedanken gemacht, ob ich mich selbst als heterosexuell outen müsste. Es sollte genau so selbstverständlich egal sein, wenn jemand anderes homosexuell ist.