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  • Von Norbert Blech
    28. Februar 2015 64 4 Min.

Gewollte Dummheit trifft Homophobie: Die erzkonservative Aktivistin darf im "Focus" mal wieder kräftig ablästern – und ihr neues Buch bewerben.



"Eine groteske Ideologie breitet sich in Deutschland aus. Sie behauptet, Geschlecht sei ein 'Konstrukt', verdirbt die Sprache und frisst Steuergelder." Diesen populistischen Quatsch findet man an diesem Samstag nicht auf evangelikalen Seiten oder in AfD-Hetzpostillen, sondern im neuen "Focus".

Unter der Überschrift "Gender mich nicht voll" darf Birgit Kelle, Shootingstar des neuen Antifeminismus und der neuen Homophobie, in einer Kolumne auf eineinhalb Seiten ablästern über alles, was sie nicht verstehen will.

Berlin hat zwar keinen modernen Flughafen, aber in manchen Bezirken drei Türen, wenn Sie aufs Klo müssen. Man muss Prioritäten setzen. Gendersensibel nennt es sich, dass wir neuerdings sogenannte Unisextoiletten vorfinden, damit wir nicht entscheiden müssen, ob wir ein Mann oder eine Frau sind."

In Kelles Sprüchen steckt der alte Stammtisch, das alte Ressentiment, aber verpackt in eine lockere Sprache, die an den gesunden Menschenverstand appelliert. Das macht sie gefährlich, denn ihre vorgestrige Sicht und ihre Absicht bleiben so bei manchem Leser unentdeckt.

Dabei hat das alles Methode: Das Vermischen der Gleichstellung von Frauen, der Emanzipation von Homo- und Transsexuellen und der Sexualpädagogik zu einem Konzept namens "Gender Mainstreaming". Stellt man Teile als unsinnig dar, etwa an Einzelbeispielen über "gegenderte" Sprache, motzt man dann noch etwas über "beleidigte Gleichstellungsaktivistinnen" und redet viel über angebliche Kosten, kann man mit diesem Rundumschlag direkt gegen alles vorgehen. Wer merkt dann schon noch, was vielleicht sinnvoll oder geboten ist? Oder was Hetze?

Kelle, Teilnehmerin der homophoben "Demos für alle", nutzt natürlich auch im "Focus" die Gelegenheit, kräftig gegen die wichtige Schulaufklärung über Homo- und Transsexualität auszuteilen:

Sexualpädagogen gendern Lehrpläne, damit auch die Jüngsten im Land schon rechtzeitig ihre persönliche sexuelle Vielfalt entdecken können.

Anstatt zu begrüßen, dass Schulen endlich besser auf LGBT-Kids eingehen, wird das Ziel veralbert und zugleich mit der Angst von Eltern gespielt, Schulen könnten ihr Kind in Bezug auf ihre sexuelle oder geschlechtliche Orientierung beeinflussen.

Direkt im nächsten Satz macht Kelle das, was Bewegungen wie die "Demos für Alle" erfolgreich geschafft haben: Aufklärung über sexuelle Identität und Orientierung mit (vermeintlicher) Aufklärung über sexuelle Praktiken zu vermischen:

Im Lehrmaterial dazu lernen die Kleinen endlich, welche handelsüblichen Sexualpraktiken sie von einer Prostituierten erwarten dürfen.

Nach diesem Einschub geht es direkt wieder zurück zu Identität und Orientierung:

Alle sind irgendwie "queer" – das ist Gender für Fortgeschrittene. Wenn es so weitergeht, wird wohl in absehbarer Zeit in unseren Schulen das Wort "Hetero" als Bezichtigung verwendet. Denn wer nicht wenigstens bisexuell ist, gerät angesichts der Gender-Offensive demnächst mit seinem traditionellen heterosexuellen Geschlechtstrieb unter Rechtfertigungsdruck."

Genau: Die Mehrheit soll diskriminiert werden. Aber die Zeilen zeigen eine weitaus erschreckendere Haltung: Einen kompletten Mangel an Einfühlungsvermögen für die Minderheit homo- und transsexueller Schüler. Das ist nicht neu für eine Frau, die ihr Buch gegen Feminismus unter den Titel "Dann mach doch die Bluse zu" stellte.

Die "Focus"-Kolumne ist zugleich Werbung für Kelles gerade neu erschienenes Buch "Gendergaga", das sich auf 180 Seiten diesen Themen widmet und, glaubt man ersten Vorbesprechungen, noch viel schlimmer wird: So scheint sie Schulaufklärungsprojekte wie SchLAu und Einrichtungen wie das Waldschlösschen zum Teil eines angeblichen Netzwerkes von Pädophilen machen zu wollen, das nun Einzug in die Schulen bekommt.

Wie beim bewusst provozierenden Vorgängerbuch ist damit zu rechnen, dass Kelle für diesen gefährlichen Unsinn mit viel Medienpräsenz belohnt wird. Dieses neue Interview mit einem evangelikalen Medium lässt etwa ab 5:15 erahnen, wie widerlich das werden kann:

Das Buch belegt bei Amazon bereits Platz 1 im Bereich "Gesellschaftskritik". In ihm heißt es auch:

Nichts bringt die Gender-Szene mehr in Aufruhr als das Angebot, Menschen dabei zu helfen, beispielsweise ihre Homosexualität, also ihr Geschlecht, abzulegen, zu verändern, zu überdenken. Da werden aus Therapeuten dann böse "Homoheiler".

 Update  1. März, 17h: Noch mehr Kelle

Nicht nur der "Focus" hofiert Kelle. In der heutigen "Bild am Sonntag" durfte sie als Teil eines Pro&Contras zum Thema "Gender-Politik" schreiben und ihr Buch bewerben. Und am Samstag war sie Teilnehmerin einer Diskussionsrunde der CDU Rhein-Sieg zum Thema Familienpolitik, an der Seite von CDU-Generalsekretär Peter Tauber.



 Update  1. März, 21h: Kelle in Talkshow

Kelle ist am Montag Gast bei "Hart aber Fair" (21h, ARD), zum Thema "Nieder mit den Ampelmännchen – Deutschland im Gleichheitswahn?" Laut der Webseite geht es um "Gleichstellungsgesetz, Quotenregelung, Genderforschung". Eine ähnliche Sendung mit Kelle war bereits Mitte Januar geplant, wurde aus aktuellem Anlass aber verschoben (queer.de berichtete).

#1 reiserobbyEhemaliges Profil
  • 28.02.2015, 12:04h
  • "hetero wird zum Schimpfwort". Kein Wunder bei solch ewiggestrigen Exemplaren.
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#2 HarknessAnonym
  • 28.02.2015, 12:14h
  • Ich bin Ende 20 und erst seit einem Jahr (freiwillig) in Therapie wegen Transsexualität. Man ahnt gar nicht, wie viele Sitzungen ich mit meinem Therapeuten hatte, die sich um Geschlechterstereotype, Verhalten usw. drehen. Ich dachte viele Jahre lang in meiner Jugend, ich bin nicht Trans*, weil ich nicht wie andere Trans* ziemlich stereotyp in das nicht zugewiesene Geschlecht gerutscht bin, sondern anders war.
    Ich fühlte mich in meinem zugewiesenen Geschlecht nicht wohl, aber ich war auch offensichtlich nicht das andere, sondern irgendwo dazwischen.
    Na ja, vielleicht wächst sich das wieder raus. Wenn man älter wird, zur Uni geht, einen Partner findet.

    Tat es nicht.
    Es kam wieder und immer wieder. Und irgendwann ließ es sich nicht mehr ignorieren, bis ich heulend zusammenbrach und meinen besten Freunden gestand, dass "etwas" nicht in Ordnung war, dass ich unglücklich bin, ích nicht weiß, WER ich bin.
    Mein Therapeut ist seh verständnisvoll und zeigte mir viele Möglichkeiten, unter denen ich wählen könnte. Da der Mensch aber nicht in einem Vakuum lebt und durchaus auch von den Reaktionen anderer Menschen lebt, ist es aber schwierig etwas zu wählen, was nicht 100% ist.
    Wer weiß, wie es am Ende aussieht.

    Was ich aber sagen will, ist folgendes: Ich wäre froh gewesen, wenn zu meiner Schulzeit darauf eingegangen worden wäre. Das es viele Möglichkeiten von Gender gibt, das auch Trans* nicht du musst OP machen und dich Klischeemäßig verhalten, sonst bist du nicht das Geschlecht bedeutet. Vielleicht hätte ich dann viel früher diesen Weg gehen können, vielleicht hätte ich früher erkannt, wer ich bin.

    Und dann kommen Leute wie Frau Kelle und torpedieren die Bemühungen in der heutigen Zeit anzuerkennen, dass es mehr gibt, als nur stures X oder Y. Es ist eine Schande.
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#3 ursusEhemaliges Profil
  • 28.02.2015, 12:55h
  • Antwort auf #2 von Harkness
  • >"Ich wäre froh gewesen, wenn zu meiner Schulzeit darauf eingegangen worden wäre. Das es viele Möglichkeiten von Gender gibt,..."

    ja, es ist extrem wichtig, dass das endlich passiert. ich bin sehr froh, dass das thema schulaufklärung nach der "hauptsache-ehe-und- scheiß-auf-den-rest"-hysterie nun endlich als eines der zentralen themen in der diskussion angekommen ist.

    vielleicht hilft dein beitrag hier ja schon irgendeiner_m leser_in, sich wiederzuerkennen und den eigenen weg leichter zu finden. ich freue mich jedesmal, wenn hier in einem kommentar eine solche perspektive auftaucht, die das sichtbar macht, was sonst meistens unter "sonstige" unsichtbar bleibt. wir müssen immer wieder zeigen, dass unsere vielbeschworene vielfalt auch nicht in vier schubladen hineinpasst.
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