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Auf vielen CSD-Paraden wurde in diesem Jahr, wie hier in Köln, für die Rehabilitierung und Entschädigung aller Opfer der deutschen Homosexuellenverfolgung demonstriert (Bild: BISS)

  • 23. Oktober 2016, 08:05h 66 3 Min.

Der Gesetzentwurf von Justizminister Heiko Maas entwürdigt die Opfer der Schwulenverfolgung erneut. Ein Gastkommentar.

Von Jasper Prigge

Der am Freitag zur Ressortabstimmung weitergeleitete Gesetzentwurf von Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) wird dem Anliegen einer umfassenden Entschädigung und Rehabilitierung in zahlreichen Punkten nicht gerecht. Im Gegenteil: Die Opfer der Schwulenverfolgung werden durch die geplanten, sehr geringen Entschädigungszahlungen erneut entwürdigt.

Wer in der Bundesrepublik zu Unrecht in Haft saß, hat für ein Haftjahr Anspruch auf mindestens 9.125 Euro Entschädigung für die erlittene Hat. Hinzu kommen Ansprüche für erlittene Vermögensschäden (Verdienstausfall, Anwaltskosten usw.). Die Opfer des Paragrafen 175 sollen nun pauschal mit gerade einmal 1.500 Euro pro Haftjahr und einer Pauschale von 3.000 Euro für das Urteil selbst abgespeist werden.

Erlittene Vermögensschäden können darüber hinaus wohl gar nicht geltend gemacht werden. Das ist inakzeptabel. Schwule wurden in der Bundesrepublik wie Menschen drittter Klasse behandelt, in den Haftanstalten ebenfalls. Und nun erneut bei der "Entschädigung".

Begrüßenswert ist, dass der Gesetzentwurf vorsieht, die Entschädigungen nicht nach den komplizierten Regelungen des Gesetzes über die Entschädigung für Strafverfolgungsmaßnahmen vorzunehmen. Aber: die in diesem Gesetz vorgesehenen Summen können und müssen übernommen werden. Sie sind selbst dann noch zu gering, wenn man berücksichtigt, welche Auswirkungen ein Freiheitsentzug auf einen Menschen hat.

Viele Opfer verloren ihren Arbeitsplatz


Unser Gastautor Jasper Prigge ist stellvertretender Landessprecher der Linken in NRW (Bild: Die Linke NRW)

Ebenfalls inakzeptabel ist, dass es überhaupt keine Entschädigung für die Folgen eines Arbeitsplatzverlustes durch eine Verurteilung nach Paragraf 175 StGB geben soll: viele der noch lebenden Opfer leben deshalb von Mini-Renten, weil sie durch ihre Haftzeit und die daran anschließende gesellschaftliche Stigmatisierung keine oder nur schlecht bezahlte Arbeit fanden. Die Rentenberechnungen und Einzahlungsverläufe liegen vor. Es wäre unbürokratisch möglich und ist auch notwendig, die Renten der Opfer des Paragraf 175 neu zu berechnen, indem für Ausfall- und Ersatzzeiten Durchschnittswerte zugrunde gelegt werden.

Gar keine Entschädigung soll es für die Opfer von Ermittlungsverfahren geben, die nicht zu einer Verurteilung führten. Das ist fatal, weil die Schwulenverfolgung in der Bundesrepublik viele Facetten hatte. Bei Ermittlungen wurden häufig Nachbarn, Verwandte, Arbeitgeber "befragt", eine gesellschaftliche Stigmatisierung war die Folge.

Zudem wurden Schwule über die bei Polizei und Ordnungsämtern geführten "Rosa Listen" verfolgt. So wurde in Köln Ende der 1950er Jahre einem Taxifahrer der Personenbeförderungsschein deshalb nicht verlängert, weil er in der "Rosa Liste" geführt wurde und daher "charakterlich nicht geeignet" sei. Auch für solche Fälle muss es eine Entschädigung geben. Möglich wäre dies über einen zusätzlichen Fonds, in den die Bundes­regierung einzahlt. Und an den sich Betroffene unbürokratisch wenden können.

Hunderttausende schwuler Männer betroffen

Durch die Existenz des Paragraf 175 sind hunderttausende schwuler Männer in ihrer Lebensgestaltung massiv eingeschränkt und behindert worden. Ständiges Verstecken, Angst vor Entdeckung, Erpressungen und massive Diskriminierungserfahrungen prägten das alltägliche Leben in der Bundesrepublik über Jahrzehnte hinweg.

Heiko Maas ist der Meinung, mit 500.000 Euro Kollektiventschädigung an die Bundesstifung Magnus Hirschfeld sei das zu regeln. Auch dem ist deutlich zu widersprechen. Allein die längst überfällige Aufarbeitung der Geschichte der Schwulenverfolgung in der Bundesrepublik wird mehrere Millionen Euro kosten. Sie ist überfällig und gerade jetzt – angesichts eines neuen homophoben Rechtspopulismus in der Gesellschaft – dringend notwendig.

Die Bundesrepublik kann sich nicht freikaufen von der Schwulenverfolgung. Sie kann aber alles tun, um den noch lebenden Opfern ein Alter in Würde zu ermöglichen und um die Geschichte der Verfolgung aufzuarbeiten und in Erinnerung zu behalten, damit sich nichts davon wiederholt. Dieser Verpflichtung wird der vorliegende Referentenentwurf nicht gerecht.

#1 AnonymAnonym
  • 23.10.2016, 09:00h
  • Das ist absolut skandalös und wird hier zu Recht angeprangert. Mit welcher der Verfassung Stand haltenden Begründung sollten (Haft)entschädigungen für Schwule weniger als ein Sechstel dessen betragen, was Anderen zusteht?

    Bei einem reichen Staat, der (interessanterweise auch) ca. ein Sechstel seiner Bevölkerung absichtlich deutlich unterhalb der Armutsgrenze vegetieren lässt, allerdings irgendwie auch kein Wunder.

    Die Supernation Deutschland marginalisiert Menschen ganz gezielt und bewusst - immer im Sinne der großen Staatsreligion Neoliberalismus. Je mehr Bevölkerungsgruppen man kleinhalten kann, desto besser fürs System.

    Übrigens kann der gesellschaftliche Umgang mit dem Thema Homosexualität auch ohne gerichtliche Verurteilung und Haft Karrieren zerstören oder unmöglich machen. Ich z.B. musste in den 1980ern mein sehr schwieriges Studium abbrechen, weil ich mit meinem Coming-out, das ich damals ganz allein bewältigen musste, nicht klarkam.
    Eigentlich kam ich natürlich mit meinem Umfeld nicht klar, nur damals suchten mein Umfeld und ich den Fehler natürlich nicht bei den gesellschaftlichen Umständen, sondern bei mir.

    Das abgebrochene Studium hing mir Zeit meines Lebens nach, und ich schleppte mich von Job zu Job - viel schlechter bezahlt als der Durchschnitt und teilweise massiv gemobbt. Heute lebe ich weit unter der Armutsgrenze und werde mit 51 in Kürze verrentet, weil meine Psyche vor einer Weile endgültig so zusammengebrochen ist, dass ich "nichts mehr leisten" kann. Also auch keine Chance mehr, der Armut für den Rest des Lebens noch irgendwie zu entkommen.

    Für diese Art von Zerstörung von Menschenleben gibt es in unserer Gesellschaft gar keine Entschädigung. Im Gegenteil: das sozialmedizinische Gutachten, das zu meiner Verrentung erstellt wurde, bescheinigt mir eine "akzentuierte Persönlichkeit" - was nichts anderes heißt als "selbst schuld".

    Danke, mein "Vaterland".
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#2 PetrilloEhemaliges Profil
  • 23.10.2016, 09:12h
  • Ich ahne sie schon die Messer wetzen: den Palmers, Gabriels, Söders und wie sie alle heißen mögen: da konnte die Entschädigungssache schon nicht so lange hinter dem Berg gehalten werden, bis jeder Betroffene endlich die Augen zu gemacht hat - jetzt bekommen die Schwuchteln was, da ist es diesem gierigen Homo-Pack)* auch wieder nicht recht zu machen.

    Ein sehr guter Artikel Jasper, der zeigt, dass gut gemeint (das will ich Maas gar nicht absprechen) halt meist weit entfernt von gut gemacht ist.

    )* Wo bleibt eigentlich die Solidarität und der Aufschrei der Lesben? Die klittern doch sonst gerne die Geschichte und fühlten sich z.B. vom dritten Reich so arg misshandelt?

    Ach so, die waren vom §175 gar nicht betroffen, weil der nur für Männer galt - sollten sie mal gegen protestieren, war nicht gleich berechtigt und verstieß gegen das Grundgesetz!
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#3 hugo1970Ehemaliges Profil
  • 23.10.2016, 09:17h
  • Herr Minister, schämen Sie sich!!
    Ich weiß es ist schwer, überhaupt den Gesetzentwurf in dieser von allen nicht gewollten koallition durchzu bringen, vor allem bei der csu.
    Haben die Betroffenen nicht auch ein Recht auf ein besseres Leben?, den die meisten dieser Betroffenen leben in bitterer Armut (das Beispiel von unten zeigt das) und sind dazu auch noch von einem Großteil der Gesellschaft als Triebtätet geächtet.

    Und ihr von den unionen, ihr solltet Euer politisches Handeln in Bezug auf Menschenrechte und Minderheitenrechte überdenken. Wir sind alle Menschen und wollen auch als sollche angenommen werden, es gibt keine Klassen von Menschen.
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